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#27 The Corporate Tribe

Der Vortrag von Jitske Kramer bei der NWX21 „Neue Räume und virtuelle Lagerfeuer“ hat mich komplett begeistert.

Mit StB Peter Kusel bespreche ich ihr Buch dazu, wie Kulturen entstehen und geformt werden und welche aktuelle Bedeutung das gerade in Übergangszeiten wie diesen hat.

Dauer 42 Minuten

The Corporate Tribe – Modelle und Werkzeuge für Führung, Management und Organisation, Danielle Braun | Jitske Kramer

Original von 2015, deutsche Ausgabe 2018, 390 Seiten

Shownotes

Teil 1 Kultur bringt Ordnung ins Chaos

Mein wichtigster Satz im Buch:

Widerstand gegen Veränderung wird verschwinden, wenn man erkennt, dass dieser Widerstand nur eine vom Vorschlag des Veränderers abweichende Meinung ist. Menschen sind meist nicht GEGEN das Neue, sondern FÜR den Erhalt dessen, was sie in der gegenwärtigen Kultur als wertvoll erachten.

Kultur befindet sich im Raum zwischen Menschen, Das sind unsichtbare Fäden, die bewirken, dass eine Gruppe mehr ist als die Summe der einzelnen Individuen. Das Bild vom Teller Spaghetti als Vergleich: Wenn Sie versuchen, einen herauszuziehen, nehmen Sie den ganzen Knäuel mit.

Kultur ist weder gut noch schlecht. Kultur ist. Kultur ist eine interessante Gesamtheit von miteinander in Zusammenhang stehenden Antworten auf die zwei grundlegenden Überlebensfragen einer Gruppe von Menschen „Wie überleben wir als Gruppe oder Organisation in einem externen Umfeld?“ Und „Wie regeln wir unsere interne Integration?“ Die Rituale, Normen, Äußerungen und Geschichten einer Kultur lassen sich auf Antworten auf diese beiden fundamentalen Fragen zurückführen.

Kultur ist logisch, auch wenn die Logik veraltet sein kann

Kultur ist tief verankert und hat immer eine Bedeutung. Wenn Welten aufeinander prallen:

Geschichten dazu:

  • 2% Fehlermarge – unterschiedliche Sichtweise bei Amerikanern und bei Japanern
  • Das Tartar-Brötchen bei der niederländischen Regionalpolizei

Das Innere nach außen kehren: emisch und etisch

Die Geschichte der Nacirema und ihr Körperritual und Mundritus. 1956 von Professor Horace Mincer publiziert

Emisch ist die innere Perspektive, wie eine Person einer bestimmten Kultur etwas wahrnimmt. Die Situation wird wertfrei aus dem Inneren der kulturellen Gruppe heraus untersucht.

Etisch ist die Außenperspektive. Sie liefert zum Wahrgenommenen eine Erklärung, eine Analyse oder ein Urteil. Die Stärke der Anthropologen liegt in der Kombination beider Perspektiven und ständig zwischen beiden Perspektiven wechseln zu können.

Teil 2 Es geschieht in den Beziehungen

Kultur basiert auf einigen uralten menschlichen Bedürfnissen und Dilemmata

  • Abhängigkeit
  • Die Entscheidung für Kampf oder Flucht
  • Paarbildung
  • Das Bedürfnis nach One-ness (Einheit der Gruppe)
  • Das Bedürfnis nach Me-ness (weiterhin als Individuum wahrgenommen werden)

Dilemmata:

  • Das gleichzeitige Bedürfnis nach Stabilität und Diversität
  • One-ness und Me-ness unter einen Hut bekommen
  • Der Drang, in Gruppen stets eine Hierarchie herausbilden zu wollen

Fünf Arten von Beziehungen, die jede Kultur für sich regelt:

  • Beziehungen innerhalb der eigenen Gruppe: Wir regeln wir das gemeinsam?
  • Beziehungen zu Gruppenleitern und Macht: Wer bestimmt, was geschieht?
  • Beziehungen zu Außenstehenden, Kunden und Konkurrenten: wie betrachten wir andere?
  • Beziehungen zu Zeit, Raum und Kosmos: Was ist, wenn Worte versagen?
  • Beziehungen in Bewegung: Wie sehen Beziehungspflege und Beziehungsmanagement bei uns aus?

Das Kinship-System und das Lesen von Organigrammen: Ein Netzwerk informeller Beziehungen liegt unter dem formellen Organigramm verborgen.

New Work und was wir von Nomaden lernen können

Problem ist bei Einführung von Homeoffice / New Work, dass der Raum und die Werkzeuge – Bricks & Bytes – zwar gut durchdacht, aber die Beziehungen in der Gruppe nicht neu gestaltet wurden.

„Alberne“ Fragen, wenn die Unternehmenskultur an das neue Bürokonzept angepasst werden soll:

  • An welchem Ort und zu welcher Zeit können junge Kollegen und Kolleginnen ältere treffen, um von ihnen zu lernen oder sie zu beeindrucken?
  • Wissen neue Mitarbeiter, wer hier die formellen und informellen Führer sind?
  • Wie wird die Geschichte des Unternehmens transportiert?

Antworten von Nomaden-Kulturen:

  • Lassen Sie das Statusspiel spielen. Ranking gehört zum Menschsein. Denken Sie über Momente und sichtbare und nicht raumgebundene Statussymbole nach
  • Organisieren Sie inspirierte Versammlungen – Dabei sein ist ein echtes Highlight und wer nicht kommt, wird auf ewig verbannt
  • Ehren Sie Ihre Stammesoberhäupter – Stärken Sie die mittlere Führungsebene
  • Betreiben Sie mündliche Überlieferung

Führungskräfte und Macht

Mindell-Modell: Zusammenhang von Status-Einschätzung und wie wahrscheinlich jemand aktiv das Wort ergreift.

Sich des Rankings in Gruppen bewusst sein – Ranking findet immer statt. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des Menschseins. Die Person mit dem höchsten Rang bestimmen die Normen und Werte.

Der Unterschied zwischen „runden“ und „eckigen“ Besprechungen. Bei „eckigen“ Besprechungen geht es um das Ich. Die Führungskraft erläutert ihren Standpunkt und will ihn verkaufen. Bei „runden“ Besprechungen geht es um das Wir. Die Lösung ist noch nicht vorhanden, sondern liegt in der Weisheit der Gruppe.

Teil 3 Kulturelle Übergänge – bauen und versetzen von Totempfählen

Totems in Organisationen haben die Form von Logos, Gebäudearchitektur, Gemälden, Firmenkleidung etc. und bieten Einblick in die Kernwerte, Wünsche und Gründungsgeschichte der betreffenden Gruppe.

Witziges Beispiel: die Voll-auf-die-Schnauze-gefallen-Trophäe.

Das Totemmodell der 5 Typen von kulturellen Übergängen

  1. Kulturelle Gestaltung – Wie machen wir aus einem rohen Baumstamm einen schönen langlebigen Totempfahl – Schaffung von Gemeinsamkeit
  2. Kulturelle Kontinuität – Wir haben einen wunderschönen Totempfahl, wie präsentieren wir ihn) – Erhalt des Guten
  3. Kulturelle Neuausrichtung – Irgendwo auf dem Dachboden muss noch ein Totempfahl stehen, aber wo? – zurück zum Sinn und Zweck
  4. Kulturelle Heilung – Der Totempfahl ist zerbrochen – gesunden und heilen
  5. Kulturelle Transformation – Wir brauchen einen neuen Totempfahl – Radikale Veränderung, wenn es wirklich anders werden muss

Zu 1.

Gruppenbildung und Gruppendynamik – Setzen Sie sechs Kinder in einen Sandkasten

Universelle Frage: Wie regeln wir unsere externe Anpassung? Und Wie regeln wir unsere interne Integration?

Geschieht weder in einer geordneten Reihenfolge noch bewusst oder rational, innerhalb eines nicht vorhersehbaren Zeitraums und mit Konflikten oder ohne.

Gruppen schaffen eine Kultur, indem sie auf die fünf Fragen der externen Anpassung und die sechs Fragen der internen Integration eine Antwort finden, Grafik S. 245

Externe Anpassung

Interne Integration

Mission und Strategie

Sprache und Humor

Ziele

Gruppengrenzen, Struktur

Mittel

Macht und Status

Erfolgsmessung

Freundschaft, Liebe, Sex

Korrekturstrategien

Bestrafung und Belohnung

Erklärung des Unerklärlichen

Zu 2. Verbindungen sichern und stärken

  • Neue Mitarbeiter aufmerksam willkommen heißen und in die Kultur einweihen
  • Raum und Zeit für Begegnungen und zur Weitergabe von Geschichten schaffen
  • Neben Kreativität und Erneuerung auch Tradition, Rhythmus, Ruhepunkte, feste Gegenstände und Orte im Blick haben

Zu 3 Erneuerung

Anthropologen kennen den Begriff Widerstand nicht und erkennen ihn nicht an. Denn Menschen sind nicht GEGEN das Neue, sondern FÜR das Bestehende.

 

Zu 4 Heilung

Wenn Berater in die Firma kommen…

Das Ritual wird vollzogen: sie vertiefen sich in die Unternehmensverwaltung, befragen Führungskräfte und Mitarbeiter, führen Scans und Audits durch. Dann folgt das große Trance-Ritual: die Powerpoint-Präsentation mit Bericht an die Geschäftsführung und Handlungsempfehlungen.

Die drei Mechanismen zum Erwerb einer magischen Rolle:

  • Einzigartigkeit der sozialen Stellung und des Informationsstands
  • Machtlegitimation und Spezialwissen und besondere Fähigkeiten
  • Verwandlung

Zu 5 Radikale Veränderung

Das Dazwischen, der liminale Raum

Veränderungen sollten in drei stark ritualisierten Schritten ablaufen, statt wie heute in nur 2 – von A nach B, von Ist nach Soll.

Das Dazwischen ist schmerzhaft, aber notwendig für den Veränderungsprozess

Verwirrung ist eine optimale Grundlage für Dialog und Veränderung

Schritt 1 Trennung oder Vernichtung des Alten

Schritt 2 Liminalität oder das Dazwischen

Schritt 3 Reintegration

Alle Zwischenschritte und Erfolge feiern. Gute Leiter von Veränderungen erzählen viele, sehr viele Geschichten „am Lagerfeuer“. Sie lassen sich sehen und machen Rundgänge und erscheinen an den Orten wo der Dialog geführt wird, Kaffeemaschine und Wasserspender. Immer wieder erzählen sie dass Veränderungen schmerzhaft, mühevoll und verwirrend sind, aber dass das dazugehört, wenn man wirklich Neues anstrebt. Sie nehmen weder den Schmerz noch verkürzen sie die liminale Phase und sie wissen, dass sie abgeschlossen ist, wenn es soweit ist.

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